Selbstfindung mal anders:

Zwischen Job, Werten und der Großen Frage - Wer bin ich? -

Oft frage ich mich, wer ich eigentlich bin. Was macht mich aus? Worauf bin ich an mir besonders stolz? Und welcher Mensch bin ich? Ganz ehrlich: Ich habe keine Ahnung! Ich weiß, welcher Mensch ich gerne wäre, aber diese Vorstellung ist so sehr von Selbstoptimierung geprägt, dass sie keine gesunde Persönlichkeit repräsentieren würde. Dinge wie “Ich will nie die Kontrolle verlieren”, “Menschen nicht bewerten” und “immer souverän umgehen” – das ist nicht gesund, das habe ich nun in der Therapie gelernt. Oft denke ich an die scheinbar perfekten Menschen auf Social Media, die morgens um 5 Uhr aufstehen, Yoga machen und genüsslich ihr Zitronenwasser schlürfen. Diese Ausgeglichenheit möchte ich auch erreichen.

Also wer bin ich?

Einmal war ich mit meinem Freund auf einer Hochzeit, wo ich Bekannte von ihm kennenlernte. Das war kurz bevor mir meine Krankheit so richtig bewusst wurde. Nachdem ich mich vorgestellt hatte, fragte mich einer von ihnen: “Und wer bist du so?” Diese Frage hat mich maximal verunsichert. Ich erzählte dann irgendwas über meinen Beruf als Architektin, und er fragte mich daraufhin, ob mein Job meine Identität sei. Man, habe ich mich da auf dem falschen Fuß erwischt gefühlt. Aber er hatte recht. Ich habe mich über meine Arbeit definiert und mein Selbstwertgefühl aus ihr gezogen. Sie hatte so lange einen riesigen Stellenwert in meinem Leben, dass ich mich darüber definiert habe. Ich will nicht behaupten, ich hätte das schon komplett abgelegt. Momentan habe ich einfach keine Arbeit, über die ich mich definieren kann. Genau das ist eines meiner großen Probleme Ich weiß nicht mehr, wer ich bin oder was mich ausmacht. Alles, was mich in meiner Arbeit, meiner Meinung nach, ausgemacht hat – wie Zielstrebigkeit, übermäßiges Engagement, Arbeiten über meine Bedürfnisse hinaus und eine hohe Belastbarkeit –, hat mich letzten Endes kaputt gemacht. Jetzt höre ich meine Therapeutin schon rufen: “Es hat dich nicht kaputt gemacht, du musst nur lernen, ein gutes Gleichgewicht zu finden.” Und ja, sie hat recht. Ich hatte kein gutes Gleichgewicht, ich hatte nur ein Extrem. Aber wie komme ich aus dem Extrem heraus? Kann ich extrem belastbar sein, aber auch einfach mal müde und ausgelaugt? Kann ich mutig sein, mich aber auch mal in ein Schneckenhaus zurückziehen wollen? Wie passt das zusammen? Ich muss mich doch entscheiden, wer ich sein will.

Mein Wertekompass

Etwas, was mir mittlerweile auch klar wurde: Ich habe gegen meine Werte gelebt. Meine Freunde waren mir schon immer wichtig, trotz der vielen Arbeit habe ich immer versucht, mich noch mit ihnen zu treffen. Aber viele Sachen musste ich auch absagen, weil ich Überstunden gemacht habe. Das sorgte für ein Ungleichgewicht in meinem Wertekompass. Wie kann ich sagen, mir sind Beziehungen wichtig, aber dann arbeite ich lange oder sogar am Wochenende? Mein Handeln hat nicht zu meinen Werten gepasst. Ein weiteres Beispiel: Stell dir vor, dir ist Achtsamkeit sehr wichtig, aber dann sitzt du beim Essen vor dem Fernseher und schlingst dein Essen ohne jegliche Wahrnehmung einfach nur runter. Das ist nicht achtsames Essen, das ist Ablenkung. Was auch vollkommen okay ist. Nur wenn Achtsamkeit einer deiner Werte ist, dann passt das Handeln nicht zu diesem Wert. Handelt man aber ständig gegen seine Wertevorstellung, verliert man am Ende sein Selbstwertgefühl. So ist es mir auch passiert. Rückblickend weiß ich, ich habe in einigen Situationen gegen meine Wertvorstellung gearbeitet, und mein Kompass war im Ungleichgewicht. Ich habe gelernt, mein Selbstwertgefühl muss aus mir selbst kommen, nicht durch den Vergleich mit anderen. Aber klar… das ist leichter gesagt als getan.

Selbstfindung - weiß ich nun mehr?

Ich muss euch leider enttäuschen. Ich weiß es immer noch nicht. Ich bin gerade dabei, mich und meine Werte neu kennenzulernen. Ich arbeite erstmal daran, ein Bewusstsein dafür zu bekommen und in mich reinzuhören. Ich habe aber schon eine Sache gelernt: Ich muss nicht entweder-oder sein. Ich kann beides sein. Ich kann mutig und ängstlich sein, stark aber auch schwach. Und um das herauszufinden, habe ich mir einfach mal aufgeschrieben, welche Eigenschaften ich an mir habe. 

Probiere es doch auch mal aus. Unten siehst du ein Beispiel, an dem du dich orientieren kannst. Frage doch auch gerne mal deinen Partner, deine Familie, deine Freunde, was sie für Eigenschaften in dir sehen. Am Anfang dachte ich, ich bekomme nichts zu Papier, aber dann habe ich doch ein paar Sachen gefunden. Nur Mut!

Selbstfindung - Übersicht einzelner menschlicher Eigenschaften. Es zeigt die Facette menschlicher Persönlichkeiten